Die grüne Lüge – Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

Sei es Fairtrade-Kaffee, GOTS-zertifizierte Mode oder vegane Naturkosmetik – das Ziel, ein verantwortungsvoller Konsument zu sein, wird immer schwerer realisierbar.
Das Interesse des Verbrauchers an den Hintergründen und Produktionsbedingungen dem von ihm konsumierten Gegenständen und Dienstleistungen wächst zunehmend. Eine Entwicklung, die absolut in die richtige Richtung geht, aber die meisten von uns immer öfter mit der Frage zurück lässt:

Woran können wir uns eigentlich orientieren?

Fakten auf den Tisch: es ist so gut wie unmöglich, sich über jedes Produkt, das man kauft oder nutzt, ausreichend zu informieren. Sind die Produktionsbedingungen nachweislich fair, muss es die Lieferkette noch lange nicht sein. Auch Siegel geben weniger Aufschluss, als dass sie weiterhin verwirren. Ein Fairtrade-Siegel darf sich zum Beispiel schon jeder auf die Packung kleben, bei dem mindestens 20% der Zutaten transfair zertifiziert sind. Besonders transparent finde ich persönlich das nicht.
Einen Versuch, die Hintergründe verschiedener Branchen und Fertigungsbetriebe näher zu beleuchten und Zusammenhänge greifbar aufzudecken, unternimmt das Buch „Die grüne Lüge“.

„Die grüne Lüge“ ist als begleitendes Buch zum gleichnamigen Dokumentarfilm von Kathrin Hartmann und Werner Boote (Regisseur von Plastic Planet) entstanden. Den Film habe ich bisher noch nicht gesehen, gehe aber davon aus, dass er ähnlich aufrüttelnd wie das Buch ist.

Alles öko, oder was? Kein Massenprodukt, keine Dienstleistung gibt es mehr, die nicht auch in „bio“, also „fair“ oder „nachhaltig“ angeboten würde: von Flugreisen mit Ausgleichszertifikat über nachhaltiges Palmöl bis hin zu Rindfleisch von brasilianischen Wellnes-Farmen bieten Konzerne all das in grün an, was erwiesenermaßen schädlich für Mensch, Tier und Umwelt ist.

Sämtliche Wirtschaftsbereiche werden hier angesprochen – über das inzwischen in die Öffentlichkeit gedrängte Problem mit Fast Fashion, über Konzerne, die sogar Öl-Pest als grün zu verkaufen suchen, über Ozeanplastik, Palmöl, Fleisch und Blut und staatliches Greenwashing. Auf zwei Themenbereiche des Buches möchte ich näher eingehen.

 

Wie Industrie und NGOs die Waldvernichtung für Palmöl zum Umweltschutz erklären

Ja, es gibt inzwischen auch nachhaltige Palmöl-Alternativen. Aber die Nachverfolgung und Kennzeichnung ist schwierig – Daria Daria informiert in einem ihrer Podcasts darüber und sagt, ein Boykott ist keine Lösung. Das mag stimmen – dennoch ist der derzeitige Verbrauch an Palmöl aber derartig hoch und der Anbau derartig natur- und menschenfeindlich, dass man vielleicht doch das ein oder andere Mal auf das dritte Glas Nuss-Nugatcreme im Monat verzichten sollte. Wenn die erste Welt aufhört, derartige Massen von allem zu konsumieren, wird es irgendwann einfacher. In meinen Augen ist es auch keine Lösung, hier auf andere, vielleicht teurere Öle umzuschwenken. Aktuell erlebt das Kokosöl einen enormen Aufschwung – doch jede entstehende Monokultur birgt ähnliche Gefahren wie die des günstigen Palmöls, das hektarweise illegal gerodeten Wald und sogar Menchenleben fordert. Die Lösung der Industrie: die Schaffung eines Round Tables, der neben Politikern, Lobbyisten und NGOs auch viele der zum Teil mit haasträubenden Praktiken arbeitenden Herstellern zu Wort kommen lässt. Also: gar keine. Verantwortung übernimmt hier kaum einer, deswegen ist es am Verbraucher, seinen Teil beizutragen.

 

Warum Kleider aus Ozeanplastik der Modeindustrie bei der Verschwendung helfen

Ein exemplarisches und gerade sehr aktuelles Beispiel: neue Konsumgegenstände aus Plastikmüll aus dem Meer zu erschaffen. Klingt erstmal nach einer tollen Idee! Ich habe das Konzept zum ersten Mal bei Kunert gesehen, die Strumpfhosen aus recyceltem Meeresmüll herstellten und so dem Begriff „Fishnet Stocking“ eine zweite Bedeutung schenkten. Inzwischen hat schon jedes Lifestyle-Magazin mehr oder weniger reflektiert das Thema aufgegriffen und darüber berichtet, weil auch immer mehr Anbieter Kleidung und Accessoires aus Ozeanplastik anbieten.

Fancy Ozeanplastik in der Zeitschrift „Ma Vie“ – ein exemplarisches Beispiel

Ganz aktuell ist gerade eine Aktion von Adidas namens „Parley for the Oceans“, die den Launch einer Sportschuhkollektion begleitet, die – na? – aus 11 recycelten Plastikflaschen je Schuhpaar gemacht worden sind. Die Aktion besteht darin, ein paar Kilometer zu laufen, für die Adidas dann einen Dollar pro Kilometer an das Parley Ocean Plastic Projekt spendet – gedeckelt auf eine Million. Auch hier: auf den ersten Blick eine feine Sache, ABER… Wie kann eine Marke wie Adidas auf der einen Seite die Plastik-Thematik so wissend und durchdacht vermarkten, und auf der anderen Seite die restlichen 90% ihrer Kollektion weiterhin aus Kunststoff und kunststoffhaltigen Materialien fertigen und dadurch das Problem weiter befeuern? Da hilft auch kein noch so gutes PR-Event mehr – auch, wenn man sich mit wirklich guten Nachhaltigkeits-Influencern geschmückt hatte. Wahres Engagement kann sich nicht nur auf 5% der Fertigung beziehen, die dann zu 300% aufgeblasen wird, weils halt gerade ein trending topic ist. Das ist Augenwischerei.

Mode ist vergänglich. Plastikabfall ist es nicht.

Hartmann nennt es „die Ästhetisierung des Desasters“, was ich sehr treffend finde. Denn: der verheerenden Vermüllung der Meere kann nur durch ein einziges, ganz simples Verhalten Einhalt geboten werden. Nämlich, wenn weniger Kleider und weniger Plastik hergestellt, konsumiert und weggeworfen würden.

Ein Buch, dass auch mich an die eigene Nase packen lässt – befeure ich die ganze grüne Lügerei durch meinen Blog nicht auch in gewissern Hinsicht?

 

Mein Fazit: Lesen! Oder angucken, je nachdem.

Ein unglaublich wichtiges Buch, das man sicherlich nicht in einem Rutsch durchlesen kann, sondern sich immer mal wieder einem Kapitel widmen sollte – einfach, weil diese auch ihre Zeit zum Verdaut-Werden brauchen. Einen Eindruck von Hartmanns Schreibe und der ganzen Thematik zum Thema Ökotourismus könnt ihr hier beim Freitag bekommen.

Einige der gründlich recherchierten Punkte war mir bereits bekannt, vieles davon komplett neu. Als Verbraucher bekommt man nie das ganze, allumfassende Bild vermittelt – dieses Buch schafft es jedoch, hier wirkliche Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich muss sagen, es fiel mir auch ziemlich schwer, dieses Review zu verfassen, denn am liebsten würde ich das ganze Buch zitieren, schaffe es aber selbst nicht, das Thema undogmatisch und dennoch in all seiner alarmierenden Direktheit auszudrücken.
Als Konsument, der gerne nachhaltig handeln will, ist man nach der Lektüre etwas ernüchtert. Soviele Faktoren, die man falsch machen kann, und am Ende aber doch ein ganz einfaches Fazit: Weniger kaufen. Weniger konsumieren, regionaler konsumieren, weniger wegwerfen, mehr reparieren.
Mehr an der eigenen Nase packen und Kleidungsstücke vielleicht doch auftragen, anstatt sie als „Problem“ in Altkleidercontainer und somit die 3. Welt abzuschieben, die in Textilbergen versinkt. Beim Neukauf noch mehr auf Materialien und Inhaltsstoffe achten. Auch grüne Werbebotschaften noch einmal mehr in Frage stellen als bisher – wo grün vielleicht die lebbare und immer einfacher zu bekommende Alternative zum klassischen Kauf war.

Kurzum: das grüne Gewissen nicht einkaufen, sondern selbst mal Hand anlegen.

Auch ich packe mir hier an die eigene Nase: ein Paar Schuhe hier, eine Bluse da. Auf Materialien achte ich inzwischen zwar, aber *eigentlich* zwingend notwendig wäre keiner der Käufe gewesen. Zudem werde ich in Zukunft versuchen konsequent auf nicht-fair gehandeltes Palmöl verzichten, wo immer ich es identifizieren kann. Das ist leider gar nicht so einfach, weil es sich hinter bis zu 200 verschiedenen Inhaltsstoffen verstecken kann. Es sind nur kleine Schritte, aber es sind welche, die gegangen werden sollten.

Vielen Dank an den Blessing-Verlag für die Bereitstellung des Rezensions-Exemplars.

3 Comments

  1. Green Shades of Red 28. August 2018 at 10:14

    Ein großartiger Artikel, der das Thema wunderbar durchbohrt und wichtige Fragen aufwirft.
    Danke dafür, dein Buchtipp ist auf meine Merkliste gewandert.

    Einerseits wird es tatsächlich nicht leichter, als Konsument am Ende der Wertschöpfungskette das zu bewerten, was wir zum Teil nicht wissen können. Auf der anderen Seite wird es einem sehr leicht gemacht, denn das gute Gewissen gibts ja mittlerweile fast überall zu kaufen – gut recherchierte Informationen und eine reflektierte Kaufentscheidungen nicht.
    Manchmal habe ich das Gefühl, dass nicht viel Platz zwischen „Ach, das bringt doch alles nichts.“ und „Und was ist mit Palmöl?“ gelassen wird und in der Konsequenz vor lauter Überforderung und Bequemlichkeit gar nichts passiert.
    Wenn alle kleinen Schritten vorangehen, bewegt sich was.

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  2. Nancy 29. August 2018 at 14:07

    Danke für den Tip, in meiner Bibliothek ist das Buch leider gerade ausgeliehen.
    Auch Tchibo bietet ja aktuell eine Sportmoden- und Bademodenkollektion aus Fischernetzen und PET-Flaschen an, gekauft habe ich mir noch nichts davon. Ich kaufe sowieso fast keine Kleidung mehr, weil ich genug habe und die Produktionsbedingungen abschreckend finde.
    Ich esse nur noch Nudossi ohne Palmöl.
    Alles richtig mache ich aber auch nicht.
    Liebe Grüße
    Nancy 🙂

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  3. Pingback: Lieblingslinks #8 - 50percentgreen

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